Gnadenlos deutsch by Helmut Ortner

Gnadenlos deutsch by Helmut Ortner

Autor:Helmut Ortner [Ortner, Helmut]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: nomen
veröffentlicht: 2016-02-15T00:00:00+00:00


Der Mann am Fallbeil

Ein deutsches Henker-Leben

Johann Reichhart ist ein gehetzter Mann. Gestern noch war er in Wien, zuvor in Dresden und Berlin, nun ist auf dem Weg nach München. Seit Jahren durchquert er mit der Bahn oder seinem Opel Blitz das Land. Ständig auf Dienstreise, im Auftrag der Gerechtigkeit. Sein Beruf: Scharfrichter. Unter seinem Fallbeil sterben gemeine Mörder, Räuber und Sexualverbrecher. Jetzt, im Jahre 1943, hat er es häufiger mit einem neuen Typus von Verurteilten zu tun: »Volksschädlinge«, »Wehrkraftzersetzer« und »Kriegswirtschaftsverbrecher«.

NS-Sondergerichte fällen Tag für Tag Todesurteile, gegen die es keinerlei Rechtmittel gibt. Und so ist der Henker viel unterwegs, fährt von Hinrichtung zu Hinrichtung, um sein blutiges Handwerk auszuüben. Reichhart hat viel Routine darin, das Leben von Menschen zu beenden.

Vier Jahre zuvor war seine Tätigkeit durch eine Rundverfügung des Justizministeriums über »Maßnahmen aus Anlass von Todesurteilen« neu geregelt worden. Auf 21 Schreibmaschinenseiten waren akribisch alle Einzelheiten einer Hinrichtung aufgelistet worden, von der Bekanntgabe der Entschließung des Führers über den Vollstreckungsort und die Unterbringung des Scharfrichters bis hin zur Art der Vollstreckung und dem Verbleib des Leichnams. Punkt für Punkt. Alle Vorbereitungen zur Hinrichtung – so hieß es – seien möglichst rasch und geräuschlos umzusetzen.

Reichhart erfüllt diese »kriegsnotwendige« Tätigkeit zur vollen Zufriedenheit seines Arbeitgebers. Spätestens am Nachmittag des Tages vor der Vollstreckung reist er mit seinen beiden Gehilfen an, bezieht Quartier in nahegelegenen Diensträumen mit Schlafgelegenheiten, ausnahmsweise auch mal in einem Gasthof, nimmt danach die Hinrichtungsstätte in Augenschein und überzeugt sich von deren Funktionalität. Dann bekommt er ein Auftrags-Formblatt ausgehändigt, dessen Wortlaut er mittlerweile beinahe auswendig kennt:

»Der Scharfrichter … Reichhart … wird beauftragt, den rechtskräftig zum Tode und zum dauernden Verlust der Ehrenrechte verurteilten … (Vor- und Zuname) … mit dem Fallbeil hinzurichten, nachdem der Führer und Reichskanzler entschieden hat, dass der Gerechtigkeit freier Lauf zu lassen sei.«

Am 22. Februar 1943 wird der Gerechtigkeit wieder freier Lauf gelassen. Reichhart erhält eine Nachricht, dass er in wenigen Stunden an drei jungen Studenten ein Todesurteil zu vollstrecken habe. Nur vier Tage zuvor, am 18. Februar, waren sie im Innenhof der Münchner Universität vom Hausmeister beim Verteilen von Flugblättern gegen das Hitler-Regime erwischt worden, der umgehend die Gestapo verständigt, die sie noch am selben Tag verhaftet und danach umgehend in das berüchtigte Gestapogefängnis im Wittelsbacher Palais einliefert. Ihre Namen: Sophie und Hans Scholl, ein Geschwisterpaar, außerdem Christoph Probst.

Die Verhandlung vor dem für Hochverrat zuständigen Volksgerichtshof findet an diesem Tag unter dem Vorsitz Roland Freislers statt. Gerade wenige Monate als Präsident des Volksgerichtshofs im Amt, ist er eigens aus Berlin angereist. Er will an den dreien öffentlichkeitswirksam ein Exempel statuieren. Freislers Verhandlungsstil ist gefürchtet: Er brüllt die Angeklagten nieder, erniedrigt sie, verletzt alle noch halbwegs gültigen rechtlichen Grundlagen. Seine Verhandlungen gleichen stalinistischen Schauprozessen. Für die meisten Angeklagten, die sich vor dem fanatischen Richter zu verantworten haben, steht das Todesurteil bereits vor der Verhandlung fest: »Tod durch das Fallbeil!«

Nach nicht einmal zweistündiger Verhandlung durchschneidet Freislers eisige Stimme die Stille des Gerichtssaals: »Die Angeklagten Sophie Scholl, Hans Scholl sowie Christoph Probst werden zum Tode verurteilt!« Unmittelbar danach



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